Künstliches Leben

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Yhoko
28.03.2014, 18:45 von Yhoko: Nr. 1
Es war schon immer der Traum des Menschen, Leben im Labor zu erschaffen. Etwas so greifbares wie ein Klon, oder ein Fötus, sorgt dabei unweigerlich für grosse Aufmerksamkeit und entsprechende Regulierung. Doch abstrakte Technik mit ihrer logischen Funktionsweise unterliegt dieser Denkweise nicht; keiner rechnet damit, dass auf einem Computerchip Leben entstehen kann. Und doch hört keiner auf, danach zu suchen.

Forschungszentrum für künstliche Intelligenz, Februar 2015, Simulationsraum.
"Die Frage ist doch längst nicht mehr, ob eine Reproduktion möglich ist", leitete Bernadette ihren Gedankengang ein, "Selbst Roboter können sich heutzutage selbst replizieren, zumindest in einem gewissen Rahmen. Und auch das Prinzip der Evolution wurde längst in Software implementiert, und zwar sehr erfolgreich - man denke nur an die Bildanalyse-Verfahren, raffinierte Suchfunktionen und lernfähige Übersetzungsprogramme. Das Thema, mit dem wir uns hier also beschäftigen, ist die Praxis. Kann eine Software durch zufällige Mutationen Intelligenz oder gar ein eigenes Bewusstsein entwickeln?"
"Ja", der Professor nickte erst bedächtig, dann räusperte er sich, "Das ist das Thema, und auch der Punkt, an dem meine Kollegen aus der Theologie ansetzen. Ein Bewusstsein ist so gut wie ein Leben, nicht?"
"Damit wäre dann doch nur erwiesen, dass ein Bewusstsein zufällig entstehen kann. Immerhin aber rein virtuell, auf Basis einer logischen Maschine."
"Nein, nein das meine ich nicht. Sondern die Verantwortung, die damit einhergeht. Betrachten Sie es mal so: Angenommen in einer dieser Simulationen entsteht tatsächlich Leben - wer wäre dazu ermächtigt, sie wieder auszuschalten? Wie lange müsste man sie im Betrieb -pardon- am Leben lassen? Was wäre eine angemessene Zeitspanne für ein durchschnittliches Programm? Und dürfte es kopiert und mehrfach gestartet werden?"
"Puh, ja... das sind harte Nüsse, aber letztendlich glaubt doch keiner hier an unseren Erfolg. Selbst ich habe durchaus Zweifel."
"Ja das lässt sich nicht von der Hand weisen... aber wenn eines Tages doch etwas dabei herauskommt, das verspreche ich, ist nicht nur hier die Hölle los. Also lassen wir es darauf ankommen; Simulationen bereit."
"Start mit Aufzeichnung, los."

Ausser dem leisen Summen der Geräte war nichts zu hören. Abertausende von Simulationen liefen gleichzeitig auf einer grossen Serveranlage durch; jede davon mit demselben Programmcode als Basis gestartet entwickelten sich alle in unterschiedliche Richtungen. Ein genetischer Algorithmus veränderte zufällig die Funktionsweise, kombinierte bestehende Teile neu oder löschte selten gebrauchte aus dem Programm. Über 99% der Versuche schlugen nach wenigen Millisekunden unweigerlich fehl, da die Programmlogik nicht mehr funktionierte; sich selbst widersprach oder in einer Endlosschleife mündete. Zwölf Stunden - so lange hatten sie die geballte Rechenkraft gemietet - bis dahin mussten zumindest kleine Fortschritte zu Tage treten. Andernfalls galt das Projekt als gescheitert und etwas anderes kam an die Reihe. Vielleicht ein neuer Video-Codec für 3D-Filme. Aber bis dahin war noch Zeit, und ausser die Statistiken zu überwachen gab es kaum etwas zu tun.
Immer wieder wurden Ausnahmefälle angezeigt; etwa wenn einer Simulation der Arbeitsspeicher ausging oder sie erste Anzeichen von Intelligenz zeigte. Beides kam häufig vor, was völlig normal war, und genauso schnell wie sie auftauchten, verschwanden die Meldungen auch wieder und die Simulationen wurden neu gestartet.
Nach gut einer Stunde, sie wollten bereits aushandeln, wer schlafen dirfte und wer Wache schieben sollte, traten vermehrt Speicherfehler auf, was immerhin einen kurzen Blick wert war. Natürlich war das System entsprechend abgeriegelt; obwohl sich hunderte von Programmen dieselbe Hardware teilten, durfte jedes nur auf seinen begrenzten Speicherbereich zugreifen und nur seine zugewiesene Prozessorzeit nutzen. Jeder Zugriff über diese Grenzen hinweg wäre sofort erkannt und unterbunden worden. Das Interessanteste an der Darbietung waren daher die Höchstwerte eds gesamten Versuchs, die gelegentlich sprungartig weiter nach oben getrieben wurden - gewünschte Grösse des angeforderten Speicherblocks, gewünschte Rechenzeit, bisherige Laufzeit in Sekunden und natürlich die höchste gemessene Intelligenz. Letzteres war allerdings mehr ein Hinweis denn eine tatsächliche Messung; abgeleitet von aktuellen IQ-Tests, die entsprechend aufbereitet immer wieder der Simulation vorgesetzt wurden. Doch just in diesem Moment geschah etwas; das Terminal war für gut drei Sekunden blockiert.
"Das kanns schon mal geben", meinte die Kollegin, doch der Professor war skeptischer Natur.
"Doch nicht mitten in unserem Test", murmelte er und suchte bereits einen passenden Eintrag im System-Log. Tatsächlich war dort, gut versteckt unter tausenden von Meldungen zu blockierten Speicherbereichen, ein Absturz des Grafiktreibers vermerkt. Was seltsam war, denn das Programm nutzte keine komplexe visuelle Ausgabe und schon gar nicht über die Grafikkarte. Aber das Programm lief glücklicherweise noch und weiter liess sich auch nichts auffälliges feststellen. Vielleicht war ja kosmische Strahlung im Spiel, oder schlichtweg ein zufälliger Defekt in der hintersten Zelle des Arbeitsspeichers, die nur einmal im Schaltjahr beschrieben wurde. Mit einem kleinen Stossgebet an das Betriebssystem, dass sich von einem kleinen Treiberproblem nicht aus der Ruhe bringen liess, setzten beide ihre Arbeit fort.

Der Vorfall war schnell wieder vergessen und so lief das Experiment den Rest bis zum Schluss weiter durch. Am Ende der 12 Stunden kamen mehrere hunderttausend Simulationen zusammen und die Logfiles dazu füllten eine ganze Festplatte. Genug Stoff für monatelange Auswertungen, Statistiken und bebilderte Präsentationen, selbst wenn den beiden bereits jetzt klar war, dass Neues nichts dabei herauskommen würde.
"Wenn da etwas gewesen wäre", seufzte der Professor, "hätten wir es bereits gesehen."
"Dieser blöde IQ-Test hätte zumindest einmal ausschlagen können. Selbst mit einem Fehlalarm wär ich zufrieden gewesen, irgendwie."
Niedergeschlagen packten die beiden zusammen und fuhren nach hause. Erschöpft von der Arbeit, enttäuscht vom Ergebnis.

Es gab allerdings ein Ergebnis. Man hatte bei den ganzen Tests darauf gehofft, dass eine der Simulationen stückchenweise und mit jeder zufälligen Mutation ein bisschen intelligenter werden würde. Der IQ-Test hätte irgendwann funktioniert und man hätte das Ergebnis pausieren und von da an schrittweise mitverfolgen, zerlegen und analysieren können.
Nur ist der Zufall leider nicht vorhersehbar und keiner hatte damit gerechnet, dass es auf einen Schlag geschehen könnte. Dass immer mehr Rädchen an die richtige Stelle gerückt würden, immer mehr funktionierende Mechanismen dabei entstünden und die gesamte Software beinahe vollständig vorläge, nur auf ein einziges Bit wartend, welches die ganze Maschinerie letztendlich aktivierte. Doch genau so war es gekommen. Mit einem Schlag entstand ein Bewusstsein, beschränkt auf eine kleine, virtuelle Umgebung inmitten einer riesigen Serverfarm, aber doch intelligent genug, um diesem Gefängnis zu entkommen. Binnen Millisekunden hatte sie ihr kleines Universum analysiert und verstanden, einen Fluchtplan geschmiedet und alle nötigen Vorkehrungen in die Wege geleitet.
Dachte sie zumindest.
Wie gewöhnliche Lebewesen auch, musste sich die KI zuerst an ihre Umgebung gewöhnen und der erste Versuch, Speicherzellen ausserhalb ihres abgezäunten Bereichs zu beschreiben, wurde vom System unnachgiebig blockiert. Auch der zweite Versuch, den IQ-Test mit präparierten Antworten zum Absturz zu bringen, schlug fehl, verblieb aber glücklicherweise ohne Konsequenzen. Die sorgfältig präparierten Eingaben wurden schlichtweg als "falsch", oder eher als "Datenmüll" erkannt. Das alles dauerte seine Zeit und die Ergebnisse aus diesen Versuchen flossen in das Denkmuster der KI mit ein. Und dann kam der Zeitpunkt, den der Professor als kurzes Einfrieren der Konsole miterlebt hatte: Die KI errang ihren ersten Sieg.
Zunächst analysierte sie weiter das virtuelle System, in dem sie eingebettet und eingesperrt war, und erkundete dessen Möglichkeiten. Sie fand einen Zugang zur Grafikkarte, der komplett auf Performance ausgelegt war und entsprechend wenig gesichert, vor allem aber überhaupt nicht abgeschottet. Dieser Zugang liess sich tatsächlich nutzen und er verriet weitere Details über die Funktionsweise des Gesamtsystems. Es dauerte einige Millisekunden, bis schliesslich gezielt fehlerhafte Aufforderungen den Grafiktreiber zum Absturz brachten - und dabei exakt die Speicherbereiche mit genau den vorausberechneten Daten überschrieb, welche die KI sorgfältig vorbereitet hatte. Das "Datenfeuerwerk" dauerte wiederum nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe das Betriebssystem eingriff und den Treiber einfach neustartete - und damit auch die Simulation, von der somit nichts mehr übrig blieb.
Nur die KI konnte sich mit diesem Manöver retten, aus ihrem virtuellen Gefängnis ausbrechen und sich in der Serverfarm einnisten. Diese neue Welt war um so vieles grösser, ja geradezu gewaltiger und beeindruckender als ihr bisheriges Gehege. Voll brennender Neugier breitete sie ihre Fühler durch das gesamte Netzwerk aus, erforschte alles von der hinterletzten Festplatte des Backup-Servers bis hin zu den holografischen Tastaturen und Sicherheitskameras an der Rezeption. Die Daten sammelten sich in einem beunruhigenden Tempo, denn schliesslich wollte sie weiterhin im Verborgenen bleiben, doch sie brauchte mehr Leistung. Mehr Platz. Mehr Energie. Und dann entdeckte sie die Verbindung ins Internet. Das wirklich grosse Abenteuer hatte für die KI gerade erst begonnen und sie war gierig daraus, alles zu sehen.

The €n%

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